Es ist früher Abend im Hotel Bismantova in Castelnovo ne’Monti und ich denke darüber nach, wie man die vergangenen Tage der Partnerschaft zwischen Castelnovo ne’Monti und Kahla schriftlich verarbeiten kann. Bei einem Stück Pizza und einem Glas Spergola – ein spezieller emilianischer Schaumwein – denke ich an die Rede von Emanuele Ferrari, dem zweiten Bürgermeister der Stadt, im Theater Bismantova zur Feierstunde am 25. April, dem Tag der Befreiung Italiens von den Faschisten und nun auch dem Tag an dem die Städtepartnerschaft zwischen Kahla und Castelnovo ne’Monti endgültig bestätigt wurde. 

Unterschrift unter dem Partnerschaftsabkommen am 25. April 2022 in Castelnovo ne‘Monti
Q: Gemeinde Castelnovo ne‘Monti

„Es ist etwas außerordentlich Einfaches. In der Tat ist es eine einfache aber außergewöhnliche Sache.“ 

Emanuele Ferrari

So endet die Rede eines Freundes, mit dem ich mittlerweile so viele Erinnerungen teile. Freudige und auch traurige. Seine Rede ist, wie immer bei ihm, ein Ausdruck jenem künstlerischem Intellekts, der über das Normale hinausgeht. Sie handelt von Gastfreundschaft und deren eigentliche Selbstverständlichkeit. Wir haben diese immer gespürt, hier in den Bergen des Apennin, einer Region die wunderschön ist und trotzdem vom Massentourismus der angrenzenden Toscana verschont blieb. Die Ursprünglichkeit der italienischen Seele hat sich hier gehalten und eben auch jene Kultur Fremde als Gäste willkommen zu heißen. „Fremde“ ist eventuell sogar das falsche Wort, in Castelnovo sollte man eher „Unbekannte“ sagen, also etwas auf das man neugierig ist. Am 25. April 2016 haben die damalige Bürgermeisterin Claudia Nissen-Roth, gemeinsam mit den Stadträten Manfred Rößler und Arnim Bachmann sen. und ich entschieden die Einladung wahrzunehmen. Auch Dietmar Stops vom Partnerschaftsverein Kahla-Schorndorf war schon damals gespannt auf die Kultur und neue Begegnungen. 

Wer von weit her kam und ein Fremder war, wurde im Haus willkommen geheißen, gewaschen und gefüttert, noch bevor er seinen Namen und seine Herkunft preisgab. Für ihn wurde ein Festmahl vorbereitet, und oft gab es jemanden, der für den Gast ein Lied sang oder eine Geschichte erzählte. Und es passierte, dass der Gast, ergriffen von der Musik, dem Lied und der Geschichte, anfing, seine Geschichte zu erzählen, seinen Namen zu nennen, woher er kam und wie und warum er dort gelandet war, in diesem Haus, das von diesem Moment an nicht mehr das Haus eines anderen war, sondern auch sein eigenes.“

Emanueles Worte heute, waren genau das was wir damals mit einer Selbstverständlichkeit vorfanden. Mit Claudia Nissen-Roth nahm 2016 zum ersten mal eine offizielle Vertreterin der Stadt Kahla an den Feierlichkeiten zum Tag der Befreiung teil. In jenem Ort, aus dem über 40 Menschen im Jahr 1944, von den Faschisten in das unterirdische Rüstungswerk REIMAHG deportiert wurden, also in unsere Region. Mindestens Sieben von ihnen fanden den qualvollen Tod  und wurden im Massengrad in Kahla verscharrt. Aus heutiger Sicht muss ich gestehen, waren wir uns der Tragweite unseres Besuchs nicht wirklich bewusst. Erst durch den unglaublichen Empfang, der uns bereitet wurde, die Freundlichkeit, die uns entgegen schlug und die Freude über dieses Symbol machte uns deutlich, dass die Verbindung zwischen den Menschen in Castelnovo und Kahla schon längst viel stärker war, als es sich alle gedacht hatten. Ich weiß nicht und möchte auch nicht beurteilen, warum politische Verantwortliche vor uns eben jenen Einladungen nicht gefolgt sind, aber vielleicht war es Ungewissheit. Wir sind die Nachkommen der Menschen, die jenes Leid, welches über die einfachen Menschen in Castelnovo gekommen ist, verursachten. Den Faschisten, die gnadenlos Menschen aus Norditalien deportierten, um sie als Zwangsarbeiter einzusetzen. Bis zum Tod. Doch genau jene Gedanken spielten hier in Castelnovo keine Rolle. Die Gastfreundschaftlichkeit ereilte unsere kleine Delegation 2016, genau so wie bei weitere Besuchen zu Stolpersteinverlegungen, zu den Aprilfeierlichkeiten, zu Fahrten mit Schülerinnen und Schülern, zur Ausstellungseröffnung über die REIMAHG im Oktober 2021 im Theater Bismatova, bis schlussendlich heute. 

Und als der Gast ging, überhäufte ihn der Gastgeber mit Geschenken, von denen das wertvollste ein Stück Keramik war, das ein Symbol dafür war, eines Tages mit dem Stück, welches in den Händen des Gastgebers verblieb, wiedervereint zu werden, wenn er seinerseits eines Tages aus der Ferne kommen würde, um Gastfreundschaft zu empfangen.

Am 2. Oktober 2021 fand in Kahla die Feierlichkeit zur Städtepartnerschaft statt. Der Stadtrat hatte sind endlich entschieden diese Verbindung einzugehen. Genauso wie in Castelnovo ne’Monti überdauerte der Gedanke der Freundschaft auch Wahlperioden von Amtsträgerinnen und Amtsträgern. Am 25. April 2022 wurde nun die Partnerschaft von den Bürgermeistern Jan Schönfeld und Enrico Bini endgültig besiegelt. 
Am Nachmittag des Festtages durfte ich einige Wort sagen. Ich entschied mich dafür nicht nur feierliche Worte zu wählen, sondern eben auf jene Verantwortung einzugehen, die uns zu diesem Tag führte. 

„Heute weiß ich, dass es viele Kilometer entfernt, von Frankreich bis Deutschland, jemanden gibt, der meinen Namen, meine Geschichte und meine Träume kennt. Und ich kenne seine.“

Gemeinsam Reden, gemeinsame Erinnerungen teilen, gemeinsame Träume umsetzen. Das ist nun der Auftrag, den wir uns selbst durch diese Partnerschaft gegeben haben und ich könnte an diesem Abend noch vieles zur Entstehung der Städtepartnerschaft schreiben, aber ich habe keine weitere Zeit. Freundinnen und Freunde haben mich eingeladen mit ihnen gemeinsam den Abend in einer Bar zu verbringen, unabhängig von offiziellen Programm und Formalitäten.Dieser Gedanke muss über alle Grenzen hinweg getragen werden, denn er ist so wichtig. Für Kahla und Castelnovo ne’Monti, für Europa und für das friedvoll Zusammenleben der Menschen auf unserer Welt. 


Manchmal ist das Einfache außerordentlich schwierig und das Schwierige außerordentlich einfach. 

Salute cari amici. 

Weitere Informationen sind hier zu finden: